Lockdown 2.0: und wie steht Es um den Feminismus?

Das Jahr 2020 neigt sich langsam dem Ende zu, und die Welt steht immer noch Kopf – bzw. still. Wir befinden uns im Lockdown 2.0 und haben uns wahrscheinlich alle irgendwie wieder damit abgefunden, haben unsere eigenen neuen Routinen und Wege gefunden, um die Zeit erträglich zu machen. Vielleicht genießen einige von uns auch die Ruhe, andere empfinden die Begrenzung der Kontakte und Aktivitäten als große Belastung.

Schon im ersten Lockdown im Frühjahr haben viele wichtige Stimmen darauf hingewiesen, was der Lockdown und andere Corona-Maßnahmen auch bedeuten kann, und zwar insbesondere für Frauen: häusliche Gewalt, ein Zurückfallen in alte Geschlechterrollen, überproportionale Belastung von systemrelevanten Berufsgruppen, die zum Großteil Frauen sind.

Aber was lernen wir eigentlich daraus? Was macht der Lockdown mit feministischen Initiativen und Bewegungen? Werden sie noch gehört, oder wird Feminismus jetzt erstmal hinten angestellt? Werden wir erst im Nachhinein sagen können, ob die schnell geschnürten Konjunkturpakete uns auch gleichstellungspolitisch weitergebracht haben? Wenn wir schon im Sinne einer „better recovery“ Nachhaltigkeit und Klimaschutz in die Konjunkturmaßnahmen eingebaut haben – wie schaffen wir das auch für Frauenrechte und geschlechterpolitischen Fortschritt?

Vielleicht habt ihr ja Lust, bei einem der nächsten Salons auch zu diesem Thema zu sprechen – dann meldet euch bei uns! Und in der Zwischenzeit haben wir eine kleine Linksammlung erstellt für die unter euch, die gerne ein wenig mehr dazu lesen würden: Die Böll-Stiftung hat sich dem Thema „Feminismus in der Corona-Krise“ gewidmet, die Friedrich-Ebert-Stiftung nimmt in einem Blog das Thema „Corona and Care“ unter die Lupe, eine außenpolitische Perspektive auf das Thema bietet das Centre for Feminist Foreign Policy, und der Gender-Blog plädiert für eine feministische Analyse der Corona-Politik.

Wenn ihr mehr Ressourcen oder Gedanken zu dem Thema habt, teilt sie gerne mit uns!

#FrauenLesen im September: „Unsichtbare Frauen“

Caroline Criado-Perez: Unsichtbare Frauen. btb Verlag (Paperback )
Bildquelle: btb Verlag

Heute legen wir euch unter dem Stichwort #Frauenlesen das Buch „Unsichtbare Frauen“ von Caroline Criado-Perez ans Herz (auf Englisch: „Invisible Women“). Sie beschreibt darin, wie viel der strukturellen Benachteiligung von Frauen* auf die „Gender Data Gap“ zurückzuführen ist: in einer Welt, die auf Daten, Statistiken und Algorhythmen basiert, diese aber nur am männlichen Körper, an männlichen Bedürfnissen und von Männern gestellten Fragen ausgerichtet sind, werden Frauen* eben unsichtbar.

In Frauen*salon #3 hatte Lea schon eindrücklich darüber erzählt, wie Frauen in medizinischen Statistiken und Forschungsexperimenten übersehen werden. Caroline Criado-Perez ergänzt dieses Themenfeld noch um Beispiele aus der Stadtplanung, der Industrie und Wirtschaftspolitik, der Arbeitswelt etc. Das Buch schärft den Blick von Leser*innen für den Daten-Bias, dem wir unweigerlich immer auch selbst ausgesetzt sind, und kann hoffentlich dazu beitragen, zukünftige politische und wirtschaftliche Entscheidungen auf eine solidere und gerechtere Basis zu stellen.

Wie immer erhältlich bei der Buchhändler*in eures Vertrauens – unterstützt die lokalen Läden!

Sommerbücher

Für den Sommer empfehlen wir euch drei sehr verschiedene Bücher von tollen Frauen*. Über eure Literatur must haves dieses Jahres freuen wir uns in den Kommentaren!

Sally Rooney: Normal People

2019 als Buch des Jahres in UK gefeiert, hat uns dieses Buch sehr begeistert; weil es eine wirklich tolle Geschichte erzählt. Im Post-2008-Krisen-Irland enfaltet sich die besondere Beziehung der beiden Teenager Cornell und Marianne. Uns hat es zu neuen Gedanken rund um Unsicherheiten, Erfolg, soziale Ungleichheit und Liebe inspiriert, ohne dabei zu schwer zu werden.

Marina Frenk: ewig her und gar nicht wahr

Kira erzählt die Geschichte ihrer Familie, die in den 90er Jahren aus Moldawien nach Deutschland gezogen ist. Es geht um ein verrücktes Leben im heutigen Berlin, sprachlose Beziehungen und Künstlerinsein. Ein Buch über über Familie und Herkunft, über Eltern- und Kindschaft.

Kürba Gümüsay: Sprache und Sein

Die Hamburger Autorin beschreibt wie Sprache unser Denken prägt und unsere Politik bestimmt. Vor dem Hintergrund der anti-rassistischen Proteste in den USA und Europa besonders aktuell, geht es um (sprachliche) Ausgrenzung und Inklusion, Feminismus und Intersektionalität. Für uns ist dies das Sachbuch des Jahres; auch, weil es so poetisch geschrieben ist, dass es sich fast liest wie ein Roman.

Foto von Omar Lopez aus Unsplash

Intersektionalität #1: We need more critical Whiteness

Die Gründerin des Magazins RosaMag für afrodeutsche Frauen, Ciani Sophia, hat im Online-Magazin EDITION F die Frage gestellt: Ist Feminismis nur für weiße Frauen? Denn bis heute stehen in der ersten Reihe der Frauenbewegungen oft vor allem weiße Frauen und ihre Themen. Rassismus und rassistische Diskriminierung werden dadurch nicht als integrale Bestandteile einer feministischen Debatte betrachtet. Dass rassistische und eurozentristische Strukturen aber sexistische Institutionen und Systeme direkt stärken, wird dadurch letzten Endes ignoriert.

Letzten Endes liegt es an uns, den weißen Frauen*, die Debatten zu öffnen und uns in critical whiteness zu üben. Wir empfehlen euch deswegen heute drei Bücher zum Thema, die uns sehr beeindruckt haben: Alice Hasters erzählt uns Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen, aber wissen sollten. Und in ihrem Manifest Why I’m No Longer Talking To White People About Race von Reni Eddo-Lodge ist nicht nur das Kapitel über weißen und schwarzen Feminismus unglaublich interessant. Lady Bitch Ray berichtet in Yalla, Feminismus von persönlichen Diskrimierungserfahrungen, erklärt aber auch anspruchsvoll feministische Theorien.

Und wenn ihr gerne Podcasts hört, in denen sich zwei Freundinnen austauschen (und manchmal eine dritte Frau* interviewen), legen wir euch folgende kleine Auswahl ans Herz: Bei Feuer & Brot führen Alice und Maxi Gespräche zwischen Politik und Popkultur aus anti-rassistischer Perspektive. Rice and Shine ist der Grimme-Preis-tragende Podcast von Minh Thu Tran und Vanessa Vu, die in ihren Gesprächen und Interviews aus der vietdeutschen Community berichten. Auf der anderen Seite des Atlantik sprechen Aminatou Sow und Ann Friedman in Call Your Girlfriend einmal in der Woche über alle Themen von Körper, Menstruation, Politik, Mode und Gesellschaft – immer auch mit rassismuskritischer Perspektive. Und die Produktion All my Relations beleuchtet Kultur und Leben der Native Communities in den USA und gibt ihren (weiblichen) Mitgliedern eine Stimme.

Wir wünschen euch viel Inspiration beim Lesen und Hören und freue uns über eure Tipps in den Kommentaren!

Foto von Lindsey LaMont auf Unsplash

Hoch die intersektionale Solidarität!

Das Online-Nachschlagewerk „Gender-Glossar“ definiert Intersektionalität wie folgt: „Unter dem Begriff Intersektionalität wird die Verschränkung verschiedener Ungleichheit generierender Strukturkategorien verstanden.“ Intersektionale Perspektiven denken verschiedene (strukturelle) Diskrimierungsformen zusammen, zum Beispiel Sexismus und Rassismus oder Gender und Armut.

Sich mit Intersektionalität zu beschäftigen, heißt auch zu hinterfragen: Wen repräsentiert Mainstream-Feminismus eigentlich? Welchen Frauen und welchen Stimmen räumen wir in einer feministischen Debatte – z.B. in unseren Frauen*Salons – wieviel Platz ein?

Uns ist es besonders wichtig, dieses Konzept hier im Blog und Newsletter zu besprechen, weil es nicht nur uns in unseren Frauen*Salons an Diversity fehlt, sondern Feminismus in westlichen Gesellschaften insgesamt oft zu weiß und zu sehr von Frauen aus Mittel- und Oberschicht geprägt ist. Das kann dazu führen, dass wir neben eurozentristischen Perspektiven auch unsere Privilegien für selbstverständlich nehmen – und dadurch rassismuskritische Sichtweisen oder jene von Frauen* aus anderen sozialen und finanziellen Kontexten ausblenden.

Sich selbst zu hinterfragen, kann unserer Meinung nach Feminismus und Solidarität unter Frauen* nur stärken. Stefanie Lohaus vom Missy Magazine proklamiert Intersektionalität daher sogar zum zentralen Thema für den heutigen Feminismus. Auch die Macherinnen des LilaPodcast haben hierzu eine Folge aufgenommen, in der sie eine Reihe toller Frauen* vorstellen, die neben feministischen Themen auch Rassismus, Ableismus, Armut und nicht-binäre Identitäten thematisieren. Und in dem Buch Feminismus Revisited portraitiert Erica Fischer als Feministin der ersten Stunde spannende Frauen*, die heute für uns alle kämpfen.